Karen Horney
Biografie
Der Neurosenbegriff
Karen Horney entwickelte während ihrer Schaffenszeit eine ganz eigene Definition der Neurose, welche ihrer
Ansicht nach an fünf Merkmalen erkannt werden kann.
Als erstes Merkmal nannte sie gesellschaftlich abweichendes Verhalten. Bestimmte Dinge werden je nach Gesellschaft, in der
sich ein Individuum befindet als normal oder abweichend empfunden.
Zweitens war sie der Ansicht, dass ein neurotischer Mensch zu einer starren, sehr monotonen Reaktionsweise neigt. Eine
solche Person wird also situationsbedingt Einstellungen wie Freundlichkeit oder Misstrauen nicht abändern, sondern beibehalten,
ganz egal, ich welcher Situation er sich befindet.
Drittens kann ein Neurotiker seine eigenen Fährigkeiten im Verhältnis zu seiner Leistungsfähigkeit nicht richtig einschätzen.
So führt dies letztendlich dazu, dass er z. B. eine Tätigkeit ausübt, die ihn total unterfordert.
Viertens haben nach Horney Neurotiker überdurchschnittlich stark ausgeprägte Ängste. Er ist mehr mit der Bewältigung seiner
Ängste beschäftigt als mit der Teilnahme am wirklichen Leben, da ihm dazu wegen der Ängste einfach die Kraft fehlt.
Fünftens und letztens sind Neurotiker Menschen mit vielen widersprüchlichen Absichten, die eigentlich nicht vereinbar sind.
Als Beispiel wäre ein rücksichtsvolles Verhalten gegenüber einem Konkurrenten zu sehen, obwohl man gleichzeitig mit ihm
in den Konkurrenzkampf eintritt.
Ihrer Ansicht nach ist die Angst die zentrale Ursache beim Enstehung von Neurosen. Sie spricht in ihrer Theorie von der
Entstehung einer sogenannten Grundangst, welche in der frühkindlichen Entwicklung entsteht. Eine solche Grundangst entwickelt sich
nach Horney bei jedem Menschen, nicht nur beim Neurotiker, ist also eigentlich ein völlig normaler Prozess in der
menschlichen Entwicklung.
Das Kind reagiert schon in
frühen Jahren mit Ablehnung oder Feindseligkeit auf die Ängste und Feindseligkeiten der Erziehungsperson, in der Regel den
Eltern. Diese wiederum nutzen das Abhängigkeitsverhältnis der Kindes aus, indem sie z. B. die ablehnende Haltung oder entgegengebrachte
Feindseligkeit bestrafen oder unterdrücken (egal, ob bewusst oder unbewusst). Das Kind muss daraufhin selber seine eigenen
Gefühle unterdrücken, damit es zurecht kommt. Die Folge ist die Entstehung der Grundangst. Ist die Bestrafung oder die Unterdrückung
über das übliche Maß erhöht, ist auch die Grundangst wesentlich größer, was die Entstehung einer späteren Neurose
begünstigt.
Dadurch, dass die Feindseligkeit in der Kindheit zu stark unterdrückt wurde, steht sie im späteren Leben nicht mehr für eine
Problembewältigung in einer konkreten Situation zur Verfügung, dennoch sucht das Innere aber nach einer Entladung der eigentlich im
Inneren vorhandenen Feindseligkeit. Bei der neurotischen Person wird diese Feindseligkeit, die nicht abgebaut werden kann,
immer stärker. Diese Feindseligkeit führt zu einer gesteigerten Angst und umgekehrt führt die nun gesteigerte Angst zu einer
weiter gesteigerten Feindseligkeit. Man kann von einem Teufelskreis sprechen. Andere Menschen werden als wenig berechenbar und verlässlich
empfungen, weshalb man ihnen gegenüber noch feindseliger ist und zudem auch Angst vor ihnen entwickelt.
Jeder Mensch versucht im Laufe des Lebens, seine Grundangst weitestgehend einzudämmen, egal ob es sich um eine gesunde oder
neurotische Person handelt. Nach Karen Horney bedient sich der Mensch dazu vier verschiedener Verhaltensweisen:
1. Das Verschaffen von Liebe
2. Unterwerfung gegenüber einer Person durch Nachgiebigkeit oder in einer Institution (z. B. Kirche)
3. Streben nach eigener Macht
4. Distanzierung von allem durch Streben nach Unabhängigkeit
Diese Verhaltensweisen der Eindämmung der Grundangst sind nach ihrer Vorstellung ein zwingender biologischer Trieb im Menschen.
Die vier unterschiedlichen Punkte können nicht alle miteinander kombiniert werden und schließen sich unter Umständen
gegenseitig aus. Jemand, der sich unterwürfig zeigt, wird wohl nicht nach eigener Macht streben. Jemand, der sich anderen
unterordnet, um vielleicht Liebe von ihnen zu erfahren, wird weniger nach der eigenen Unabhängigkeit streben.
Beim Neurotiker dagegen führt die Kombination dieser vier Punkte zu ganz eigenen Verhaltensweisen. So entwickelt der Neurotiker
ein neurotisches Liebesbedürfnis. Damit will er seine Ängste durch die Liebesbeziehung überwinden. Neurotische Menschen neigen
zu Eifersucht, können schwer mit Ablehnung umgehen, wollen die bedingungslose Liebe erzwingen, verlangen nach Mitleid und
können im Extremfall sogar Leib oder Leben des Geliebten bedrohen.
Zudem streben neurotische Personen besonders nach Macht und Anerkennung und neigen dazu, diese Macht zu
missbrauchen. Rechthaberei, Dickköpfigkeit und Herrschsucht, aber vollkommende Beherrschtheit können die Folge sein.
Die Macht beruhigt sie, da sie damit die nötige Distanz zu ihren Mitmenschen
wahren können. Die Macht schützt sie vor dem ungewünschten Gefühl der Hilfs- und Bedeutungslosigkeit und der Schwäche.
Deshalb wird der Neurotiker versuchen, andere mit seiner Macht zu beeindrucken.
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